Die Gerichtslinde (regional auch Tilly-Linde, Thie-Linde, Mallinde) zählt zu den Gerichtsbäumen und war der Ort einer historischen Gerichtsstätte. Gerichtslinden sind sehr alte Bäume, die einzeln an herausgehobener Stelle in der Nähe eines Dorfes stehen, oder selbst den alten Dorfmittelpunkt bilden.

Zweck

Unter Gerichtslinden wurde im Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit das Dorfgericht oder die Ratsversammlung, das sogenannte Thing (Dingtag), unter freiem Himmel abgehalten.

Herkunft und belegte Orte

Ehemalige Gerichtslinden werden in Nordwestdeutschland nach einem Wort für den Dorfplatz (das nicht mit dem Wort Thing verwandt ist) als Thie-Linde bezeichnet. Der gelegentlich vorkommende Name Tilly-Linde wird in örtlichen Sagen auf den Feldherrn Johann T’Serclaes von Tilly zurückgeführt, lässt sich aber von der lateinischen Bezeichnung für Linden (Tilia) ableiten.

Alte Gerichtslinden findet man heute noch in vielen Orten, unter anderem in Bargischow, Berndshausen, Birnfeld, Castell, Collm, Frankfurt am Main, Göttingen in Grone, Großgoltern, Herzogenreuth, Heiden (Lage),Hohenpölz, Kalkar, Kierspe, Lüdenscheid (Stilkinger Lehngericht), Müden an der Örtze, Neuenrade, an der Feldkirche (Neuwied), Hemmendorf (Salzhemmendorf), Schaumburg, Scheeßel, Upstedt und in Warmsen. Auch der womöglich älteste Baum Deutschlands, die Linde in Schenklengsfeld, sowie die älteste Linde Sachsens, die Collmer Linde, dienten vormals als Gerichtslinden.

Diese alten, unter Naturschutz stehenden Naturdenkmäler haben laut örtlichen Chroniken oft ein Alter von über 1000 Jahren. Obwohl Linden ein sehr hohes Alter erreichen können, muss die Altersangabe „Tausendjährige Linden“ angezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass ein durch Blitz oder Sturm vernichteter Baum wieder an derselben Stelle durch Nachpflanzung ersetzt wurde.

An der Göttinger Gerichtslinde wurde am 20. Januar 1859 die letzte öffentliche Hinrichtung durch das Schwert in Norddeutschland vollzogen. Eine Dienstmagd hatte den Bäckermeister Siebert, der ihr die Ehe versprochen hatte, vergiftet. Zur Abschreckung mussten alle Dienstboten aus Göttingen und dem Umland der Exekution beiwohnen.

Beispiele

Siehe auch

  • Liste markanter und alter Baumexemplare in Deutschland
  • Tanzlinde
  • Irminsul
  • Gerichtslaube
  • Gerichtsstein

Literatur

  • Rainer Graefe: Bauten aus lebenden Bäumen. Geleitete Tanz- und Gerichtslinden. Aachen/Berlin 2014, ISBN 978-3-943164-08-4.
  • Anette Lenzing: Gerichtslinden und Thingplätze in Deutschland. Königstein i. Ts. 2005, ISBN 3-7845-4520-3 (= Die Blauen Bücher).
  • Alexander Demandt: Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte. Düsseldorf 2005, ISBN 3-491-96140-8.

Weblinks

  • Thing- und Gerichtslinde, auf uni-goettingen.de (Internetseite des Fortsbotanischen Garten der Universität Göttingen)

Einzelnachweise


Oktober 08

Die Gerichtslinde in Hau

Gerichtslinde bei Meinefeld (Nienstädt), RegisterNr. 10454

Gerichtslinde Wanderungen und Rundwege komoot

Die Gerichtslinde in Oberursel